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#Interviews

Kaffee in Zeiten von Corona: So ist Äthiopien betroffen

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Stephan Eicke

Ein Beitrag von Stephan Eicke in der Kategorie #Interviews vom 14. Oktober 2021

Seit Ausbruch des Coronavirus ist es weltweit zu Lieferengpässen gekommen, sei es im Lebensmittel-, Kleidungs- oder Elektronikbereich. Zahlreiche Unternehmen mussten schließen, Konkurs anmelden, staatliche Hilfe beantragen. Kein Bereich ist verschont geblieben, auch nicht Kaffee. Da viele unserer Kaffees aus Äthiopien stammen, haben wir uns angesehen, wie Farmer:innen und Exporteur:innen aus dem Land mit der Situation umgegangen sind.

Als Ansha an einem Morgen im März 2020 ihr E-Mail-Postfach öffnete, wusste sie, dass es jetzt ernst wurde. Sie hatte schon seit einigen Wochen ein dumpfes Gefühl in der Magengegend verspürt, doch jetzt hatte sie die Bestätigung, dass ihre Sorgen berechtigt waren. Weitere Kunden sagten ihre Besuche ab. Für Ansha eine Katastrophe. Sie ist Gründerin und Geschäftsführerin von CoQua Trading, einem Consulting Business, das unter anderem uns bei der Auswahl der besten Rohkaffees berät, Projekte zur Qualitätssteigerung in Kooperativen durchführt und potentielle Kunden mit Exporteuren, Gewerkschaften sowie Farmer:innen verknüpft.

Der erste Fall von Coronavirus war bereits am 13. März 2020 in Äthiopien gemeldet worden. Die Regierung handelte schnell, schloss bereits drei Tage später Schulen und sagte öffentliche Veranstaltungen ab. Knapp einen Monat später wurde der Notstand ausgerufen. Niemand reiste nach Äthiopien ein oder aus. Kund:innen konnten nicht einfliegen, um Kaffees zu testen, Kooperativen zu besuchen und Cuppings durchzuführen. Dabei macht gerade dieser enge persönliche Kontakt die Arbeit von CoQua Trading aus. Würden Kund:innen der Organisation und damit auch den Kooperativen und Exporteur:innen weiterhin treu bleiben? Werden die Bestellungen einbrechen und Farmer:innen auf den Bohnen sitzen bleiben? Alle diese Fragen trieben Ansha um.

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Zeitnah Alternativen geschaffen

Äthiopische Farmer:innen hatten zunächst Glück im Unglück, denn die Erntezeit findet in dem afrikanischen Land von Oktober bis Dezember statt. Die Kirschen waren bereits gepflückt und verarbeitet worden, als das Coronavirus ausbrach. Die unmittelbare Gefahr bestand nicht darin, die Kirschen auf dem Feld verderben zu lassen. Nun waren es die Exporteur:innen, die das Risiko trugen, denn sie hatten die Säcke bereits bezahlt. Aufgrund der Pandemie kündigten einige Käufer:innen ihre Verträge. Exporteur:innen sorgten sich, auf dem Bestand sitzen zu bleiben. Es ist eine von Anshas Aufgaben sicherzustellen, dass genau das nicht passiert.

Stephan Eicke: Ansha, potentielle Kunden sind nicht mehr nach Äthiopien gereist. Was war für euch die Lösung dieses Problems?
Ansha Yassin: Wir waren sehr besorgt, weil unsere Arbeit sehr aktiv und physisch ist. Kunden kommen zu uns, wir interagieren mit Farmer:innen, wir schicken Kaffee zu Cuppings in unser Labor. Es ist nicht mehr so aktiv wie zuvor, trotzdem haben wir Kaffees verkauft. Wir haben den Kund:innen Samples geschickt. Wir haben die Kaffees hier gecuppt und ihnen das Ergebnis geschickt. Sie haben dann mit den Samples bei sich dasselbe gemacht. Auf diese Weise konnten wir arbeiten und unser Geschäft aufrecht erhalten. Wir haben überlebt, indem wir sehr viele Samples verschickt haben. Die Kosten waren entsprechend höher, aber es konnte sogar ein wenig mehr Kaffee verkauft werden als vor Covid. […] Kund:innen kaufen ihren Kaffee bei den Kooperativen direkt, wir erhalten nur die Kommission für unsere Arbeit, äthiopischen Kaffee beworben und die Produkte der Farmer:innen vertreten zu haben. Die Preise werden von den Farmer:innen und Käufer:innen untereinander verhandelt. Manche Kooperativen haben den Preis um ein paar Cent erhöht, aber diese Entscheidungen werden im Rahmen der Gespräche getroffen.

Wie gestaltet sich die Arbeit auf dem Feld? Gibt es einen Mangel an Erntehelfern?
Nein, die Arbeit ist kaum, wenn überhaupt, betroffen. Die Arbeiter:innen verteilen sich auf dem Feld, halten Distanz zueinander ein. Einige tragen Masken. Wenn Meetings stattfinden, sind Masken vorgeschrieben. Hinzu kommt auch, dass viele Erntehelfer:innen in eher abgelegenen Gegenden nicht viel über Covid wissen.

Wie meinst du das?
Ich kenne viele Farmer:innen und andere Menschen, die zwar wissen, dass Covid existiert, es aber nicht ernst nehmen. Sie glauben, sie seien nicht betroffen. Deswegen sehen wir viele Erkrankungen und auch viele Covid-Tote. In den ländlichen Gebieten tragen von 1.000 Menschen nur drei oder vier eine Maske. Für alle anderen hat sich nichts geändert. Alle küssen sich und umarmen sich, als wäre seit Anfang 2020 nichts passiert. […] Wenn die Delta-Variante in die ländlichen Gegenden vordringt, wird das sehr gefährlich, weil Menschen dort nicht gut auf sich und andere acht geben.

Woran liegt das, glaubst du?
Sie sagen, “Wir sind religiös, wir ernähren uns gesund, essen Zwiebeln und Pfeffer. Covid wird uns deswegen nicht treffen.” Wenn ich Menschen sage, sie mögen bitte eine Maske tragen und aufpassen, sagen sie, “Gott wird uns schützen.” Das ist der Gedanke dahinter. “Wir essen Pfeffer, das schützt uns.” In Addis Abeba ist es besser, dort nutzen die meisten Menschen einen Mund-Nase-Schutz. Du darfst öffentliche Verkehrsmittel nur benutzen, wenn du eine Maske trägst. In ländlichen Gegenden wie Kaffa trägt kaum jemand eine Maske.

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Erntehelfer:innen pflückten weiter

Diese Naivität gegenüber einem global grassierenden Virus hat dazu geführt, dass die schlimmsten Befürchtungen bislang nicht in angenommenen Umfang eingetreten sind, was die Kaffeeproduktion und -verarbeitung betrifft. In der ersten Jahreshälfte 2020, zu Beginn des Ausbruchs, wurde eine Studie zu Einkommensveränderungen durch die Pandemie unter 713 äthiopischen Haushalten durchgeführt, die ausschließlich im Kaffeeanbau tätig sind. Aufgrund des ersten, zweiwöchigen Lockdowns hatten 57 % der Befragten Einkommen verloren. 70 % beklagten, finanziell schlechter gestellt zu sein als noch ein Jahr zuvor. Allerdings waren auch 80 % davon überzeugt, in einem Jahr – Juni 2021 – wieder mehr Einnahmen verzeichnen zu können.

Der Optimismus war berechtigt, musste dennoch mit einem hohen Preis bezahlt werden: Während andere Länder nicht genügend Erntehelfer:innen beschäftigen konnten, entpuppte sich dies für äthiopische Kaffeefarmer:innen zur Ernte 2020/2021 nicht als Problem. Eden Kassahun von Red Fox Coffee Merchants, die den Kontakt zwischen Farmer:innen und Käufer:innen herstellt, fasste im April 2021 zusammen: “Wir haben beobachtet, dass Menschen sich der Pandemie nicht wirklich bewusst sind, vor allem jetzt nach dem Lockdown. Im vergangenen Jahr hatten wir ein Problem, weil im Zuge des Lockdowns die öffentlichen Verkehrsmittel ausgesetzt wurden und Menschen nicht zur Arbeit fahren konnten. In diesem Jahr sind wir aber nicht betroffen.” Diese von Ansha und Eden angesprochene Naivität führte landesweit zu Infektionen und Todesfällen. Seit März 2020 sind die Infektionsraten in Äthiopien kontinuierlich angestiegen. Bis Oktober 2021 zählte Äthiopien 356.000 Infektions- und 6.000 Todesfälle. Allerdings sind dies nur die offiziellen, gemeldeten Zahlen. Äthiopien zählt knapp 115 Millionen Einwohner. Damit sind die Zahlen vergleichbar mit den Infektionsraten von Ägypten (314.000 Infektionen auf 103 Millionen Einwohner). Deutschland zählte bis Oktober 2021 4,3 Millionen Fälle auf 83 Millionen Einwohner, allerdings sind durch den Zugang zum Gesundheitswesen mehr Tests durchgeführt worden. Ein direkter Vergleich ist aufgrund der unterschiedlichen Strukturen der Länder irreführend und nicht aussagekräftig.

Farmer:innen spürten die Auswirkungen der Pandemie und des damit einhergehenden Lockdowns vor der Ernte. Zwei Probleme machten sich besonders bemerkbar: Lieferengpässe bei Werkzeugen, und ein Arbeitermangel für die Aufbereitung der Länder. Aufgrund des von der Regierung erlassenen Versammlungsverbotes waren viele Farmer:innen nicht in der Lage, ihren Plänen nachzugehen und weiterhin so produktiv zu arbeiten wie vorgesehen. Ademe, ein Farmer aus Äthiopien, fasst es knapp zusammen: “Ich wollte ein Viertel meines Landes stampfen, aber aufgrund des Arbeitermangels konnte ich das nicht tun.” Die Lieferengpässe für Werkzeug haben zu einem Anstieg der Preise geführt. Viele Farmer:innen konnten sich die Werkzeuge nicht mehr leisten und sahen sich in ihrer Produktivität beschnitten. Um den Einbruch auszugleichen, haben Stiftungen ihre Finanz- und Bildungsmittel verlängert und erweitert. Unternehmen wie die HRN-Stiftung unterstützen allein in Äthiopien knapp 4.500 Haushalte von Kaffeefarmer:innen.

Der Rohkaffee

Regierung schützt äthiopische Wirtschaft

Die Auswirkungen der Pandemie auf äthiopische Haushalte und die Kaffeeindustrie sind auch deswegen schwer zu erfassen, weil in dem afrikanischen Land zwei Probleme zeitgleich, aber unabhängig voneinander aufgetreten sind: Seit November 2020 tobt ein erbitterter Krieg zwischen der Armee und Rebellen in der Tigray-Region. Ansha und CoQua Trading konnten wegen der blutigen Auseinandersetzungen nicht wie üblich in eines ihrer Labore reisen, mussten stattdessen Equipment für Untersuchungen und Cuppings in die Stadt Jimma schaffen, was zu empfindlichen Verzögerungen geführt hat.

Atrie Weno, der die Exportfirma Daye Bensa leitet, hat beobachtet, dass die Transportverzögerungen aufgrund von Covid-19 und entsprechender Beschränkungen in Äthiopien nicht derart gravierend waren wie in anderen Ländern. Diese seien auch nicht auf Beschränkungen zurückzuführen, die von der Regierung beschlossen wurden, sondern auf krankheitsbedingte Ausfälle, auf LKW-Fahrer:innen, die sich wegen eines positiven Covid-Tests in Quarantäne begeben mussten. Die äthiopische Regierung war vorsichtig, längere Lockdowns und extremere Einschränkungen zu erlassen, schließlich machen Kaffeeproduktion und -export einen Großteil der äthiopischen Wirtschaft aus. Diese ist fragil und wird von den Regierungsvertreter:innen geschützt.

Die Nachfrage nach Kaffee ist über einen längeren Zeitraum – von Beginn der Pandemie bis heute, Ende 2021 – nicht signifikant zurückgegangen, wie zunächst befürchtet.
Jorge Cuevas, Chief Coffee Officer von Sustainable Harvest Coffee Importers in Mexiko, sieht Covid-19 als globale Chance, Abhängigkeiten besser zu verstehen und zu respektieren: “Seit vier bis fünf Jahren ist der Weltmarktpreis für Kaffee besonders niedrig. Das schadet den Produzenten. Parallel boomt aber die Kaffeeindustrie in den Industrieländern. Third und Fourth Wave-Kaffee sind so beliebt wie nie. […] Der Konsum steigt. Das ist eine deutliche Abzweigung. Jetzt ist es Zeit für einen Reset. Diese Situation schadet allen gleichzeitig. Jetzt haben wir die Möglichkeit nachzudenken, in uns zu gehen und zu entscheiden, was wir tun können. […] Produktionskosten steigen, aber Preise für die Konsument:inneen steigen stärker: Es ist viel schwieriger zu planen, das Inventar zu bestellen und festzusetzen, was du wann brauchen wirst. Wir werden gestärkt aus dieser Krise hervorgehen. Es wird ein größeres Verständnis für uns als Gemeinschaft geben, für den Zusammenhalt. Wir werden besser vorbereitet und eher gewillt sein, Opfer zu bringen und Vorschläge zu machen, die uns als Industrie stärken.” Global sei die Nachfrage nach Kaffee nicht wie befürchtet eingebrochen, sondern so stark wie zuvor.

Fazit

Das bedeutet nicht, dass Äthiopier:innen von der Pandemie verschont geblieben sind: Unsere Röster Hannes und Robert erwarten nach Rücksprache mit äthiopischen Farmer:innen und Exporteur:innen einen verzögerten Effekte durch zusätzliche Preiserhöhungen. Und auch wenn aussagekräftige Daten aufgrund mangelnder Tests fehlen, leidet Äthiopien als Gesellschaft unter den globalen und inländischen Auswirkungen. Ein Team von Wissenschaftler:innen untersuchte die Auswirkungen der Pandemie auf die psychische Gesundheit speziell von Cafébesitzer:innen und -mitarbeiter:innen in Harar, die zeitweise ihre Geschäfte schließen mussten. Die Studie fand, dass einer von fünf Menschen während der Pandemie Symptome einer Depression aufwiesen. Depressionen waren seltener unter Menschen, die wenigstens die Grundschule abgeschlossen hatten. Wer eine große Familie zu versorgen hatte, litt wiederum unter einem größeren Risiko zu erkranken.

Die beschriebenen Einschränkungen, die unter anderem zu Verzögerungen und geringerer Produktivität führten, sorgten für einen Anstieg der Preise. Allerdings war Äthiopien von den Effekten der Pandemie nicht derart stark betroffen wie beispielsweise Brasilien – das Land, das zusätzlich mit Frost im Juli zu kämpfen hatte – und Vietnam, wo der lang anhaltende Lockdown zu Lieferengpässen bei der Ausfuhr von Robusta und zu einem Preisanstieg von 50 % geführt hat. Aufgrund mangelnder Studien und weiterer Konflikte wie regionalen Unruhen ist allerdings derzeit noch nicht einzuschätzen, welche Langzeiteffekte Äthiopien, seine Kaffeefarmer:innen und ihre Partner:innen von der Pandemie spüren werden.

Mittlerweile werden in Äthiopien – Stand Oktober 2021 – die ersten Menschen gegen Covid-19 geimpft. Mitarbeiter:innen im Gesundheitswesen, ältere Mitbürger:innen und jene mit schweren Vorerkrankungen stehen am Anfang der Schlange.