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#Interviews

Primavera Coffee in Guatemala: Mit kleinen Produzenten den Specialty Markt erobern

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Stephan Eicke

Ein Beitrag von Stephan Eicke in der Kategorie #Interviews vom 8. November 2021

Vom guatemaltekischen Importeur Primavera Coffee beziehen wir den Rohkaffee für unsere beiden Holiday Roasts, den Jesús Cardona Filterkaffee und den Francisco Lopez Espresso. Wir haben mit der Gründerin von Primavera Coffee, Nadine Rasch, nicht nur über ihre berufliche Motivation und den Specialty Coffee Markt gesprochen, sondern auch über die ungewöhnliche Kaffeehistorie ihres Landes.

Stephan Eicke: Nadine, erzähl mir deine Geschichte. Wie bist du in der Kaffeebranche gelandet?
Nadine Rasch: Ich wurde in Guatemala geboren. Meine Familie stammt ursprünglich aus Deutschland, emigrierte aber bereits in den 1880er Jahren.

Ich wollte gerade anmerken, dass du einen sehr deutschen Namen hast.
Ja, ich spreche sogar ein bisschen Deutsch, aber lass uns das Gespräch besser auf Englisch führen. Ich bin die fünfte Generation in meiner Familie, die mit Kaffee ihr Geld verdient. Ursprünglich kam meine Familie über die Hamburg Coffee Company nach Guatemala, um ein Estate zu führen. Ich habe als Kind viel Zeit auf Kaffeefarmen verbracht und eines meiner ersten Praktika im Einkauf für Starbucks in der Schweiz absolviert. Das war vor 14 Jahren. Ich wollte aber nicht machen, was meine Eltern machen. Nie mehr Kaffee! Ich habe dann in London für einen Hedge Fond gearbeitet. Das habe ich eine Zeit lang mit Warenfonds gemacht, aber es wurde mir sehr schnell klar, dass die Menschen, die im Kaffeehandel arbeiten, keine Ahnung davon hatten, was dahintersteckt. Millionen von Familien waren auf die Verträge angewiesen und von ihnen abhängig. Das war den Händler:innen gar nicht klar.

Ich musste mir einfach eingestehen, dass ich Specialty Coffee liebe und mich auf kleinere Produzent:innen fokussieren wollte, auf Qualität.

Ich habe mich dann entschieden, den Hedge Fund zu verlassen und für einen Importeur in London zu arbeiten. Ich musste mir einfach eingestehen, dass ich Specialty Coffee liebe und mich auf kleinere Produzent:innen fokussieren wollte, auf Qualität. Der erste Schritt war, eine Importfirma in Großbritannien aufzumachen, die Kaffee aus Guatemala importiert und dafür einen Markt findet. Im nächsten Jahr werden wir unser zehntes Jubiläum feiern. Die Zeit ist geflogen. Wir sind stark gewachsen. Mittlerweile arbeiten wir mit über 300 kleinen Kaffeeproduzent:innen. Unser Fokus hat sich leicht verschoben. Wir arbeiten nicht länger mit den größeren Produzent:innen zusammen, sondern mit kleineren. Qualität ist uns am wichtigsten. Wir wollen diesen Produzent:innen einen Zugang zum Specialty Coffee Markt verschaffen.
Vor fünf Jahren bin ich nach Guatemala zurückgezogen, um näher an der Produktion zu sein und eng mit den Produzent:innen zu arbeiten. Wir haben auch unsere Exportfirma aufgemacht. Wenn du von uns Kaffee kaufst, arbeitest du so nah wie möglich mit uns zusammen. Wir ermöglichen Direct Trade. Wenn du zehn Säcke Kaffee von uns kaufst, weißt du genau, wo die Bohnen herkommen. Wenn du später einen ganzen Container kaufst, kannst du ihn direkt von uns in Guatemala ordern. Du musst nicht über eine Importfirma gehen. Wir haben noch eine ähnliche Firma in den USA aufgemacht, die Kaffee an kleinere Kaffeeröstereien verkauft. Wir verkaufen jetzt auch nach Australien, Japan, den Mittleren Osten und Hongkong. Es ist schön zu sehen, weil wir nicht besonders gut im Marketing sind. Im vergangenen Jahr hatte ich mehr Zeit, über eine Strategie für unser Unternehmen nachzudenken, Wir wollen transparenter sein, bessere Preisstrukturen entwickeln und sicherstellen, so effizient wie möglich zu sein.
Anfang dieses Jahres haben wir unsere erste Dry Mill aufgemacht. Die Idee hinter Primavera ist, über das ganze Jahr ein Netzwerk aus Unterstützer:innen zu pflegen. Wir nehmen den Produzent:innen nicht den Kaffee ab und verlassen sie dann. Wir haben ein Team von Menschen, die die Farmer:innen regelmäßig besuchen und sicherstellen, dass sie den Boden bestmöglich düngen und die Pflanzen richtig beschneiden. Es ist natürlich für alle wichtig, dass die Qualität des Kaffees konsistent ist.

Nadine Rasch von Primavera Coffee

Wenn du als Kind viel Zeit auf Farmen verbracht hast, musst du hautnah miterlebt haben, unter welchen Bedingungen Erntehelfer:innen und Farmer:innen leben und arbeiten. War das eine Inspiration, beruflich den Weg einzuschlagen, den du jetzt gehst?
Definitiv. Ich fand es immer erstaunlich, wie viel Arbeit in einer einzigen Tasse Kaffee steckt, und wie wenig Menschen sich davon einen Begriff machen können. Deshalb habe ich den Hedge Fund verlassen. Niemand hatte eine Ahnung davon, und das hat mich wirklich wütend gemacht. Das hat mich definitiv beeinflusst und mitbestimmt, wie wir unsere Firma leiten. Die Idee war, vertikal integriert zu sein: unsere eigenen Trucks zu haben, Importeur wie Exporteur zu sein und dem Kund:innen eine Rückverfolgbarkeit zu ermöglichen. Wir zahlen für Qualität. Das ist etwas, das man schmecken kann, und wenn es gut schmeckt, dann kannst du auch mehr Geld verlangen. Hoffentlich wird Kaffee irgendwann mehr wertgeschätzt.

Wie entscheidet ihr denn, mit welchen Produzent:innen ihr zusammen arbeitet?
Zuerst haben wir Samples angefragt. Wir fokussieren uns auf kleinere Produzent:innen, die keinen Zugang zum Specialty Markt haben. Dann cuppen wir das Sample. Wenn uns die Qualität überzeugt, besuchen wir die Farmer. Dort stellen wir sicher, dass die Arbeitsbedingungen unseren Vorstellungen entsprechen. Sie müssen einen gewissen Standard erfüllen. Das ist der erste Schritt. Wir haben beobachtet, dass Farmer:innen, die mit uns arbeiten, weiter mit uns arbeiten. Sie bleiben uns treu und erzählen ihren Nachbar:innen von uns. Mittlerweile bekommen wir eine Unmenge an Samples zugeschickt! Aber wir besuchen jede einzelne Farm, um sicherzustellen, dass die Rückverfolgbarkeit gewährleistet ist.

Kannst du sehen, wie sich die Lebensbedingungen der Farmer:innen verbessert haben, mit denen ihr zusammenarbeitet?
Darüber habe ich viel nachgedacht. Es ist kompliziert, weil du Produzent:innen zwar mehr zahlst, ihnen aber nicht sagen kannst, was sie mit dem Geld machen sollen. Ursprünglich haben wir gesagt, sie müssen damit eine eigene Wet Mill bauen oder mehr Equipment kaufen. Wir haben aber schnell verstanden, dass einige Familien mehr profitieren, wenn sie sich von dem Erlös ein Badezimmer einrichten oder ihre Kinder zur Schule schicken können. Ich kann ihnen nicht sagen, was sie tun sollen. Wir hätten sie früher fragen sollen, was sie wirklich brauchen. Im Laufe der Jahre haben wir einige interessante Antworten bekommen. […] Im letzten Jahr haben wir ein Fundraising für Covid veranstaltet, in diesem Jahr bauen wir einen Gemeinschaftsgarten, damit Menschen sich anschauen und lernen können, wie sie Dinge bei sich zuhause effizient anbauen können. Wir haben verschiedene Projekte. Wir haben einen Wasserfilter gespendet, damit Menschen Zugang zu sauberem Wasser haben. Wir haben das schon immer gemacht, sind damit nur nicht hausieren gegangen oder haben es an die große Glocke gehängt.

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Guatemala als Ursprungsland

Guatemala bietet durch die Beschaffenheit des reichhaltigen Bodens und der Witterungsverhältnisse ein schillerndes Kaleidoskop an Aromen, die für jeden etwas bieten. Das macht das südamerikanische Gebiet für Liebhaber:innen des Getränks natürlich besonders spannend. Hier kannst du mehr über das Ursprungsland Guatemala erfahren.

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Was macht Kaffee aus Guatemala aus?
Wir sind ein sehr kleines Land. Gleichzeitig ist unsere Topografie unglaublich vielfältig. Wir haben über 300 Mikroklimas. […] In Huehuetenango, im Nordwesten des Landes, erleben wir oft warme Luftströme. Gleichzeitig ist die Gegend sehr hoch und kühl. Das ist ein Aspekt, der den Kaffees eine ganz besondere Qualität verleiht. In Cobán wiederum regnet es immer und es ist sehr nebelig. Das ganze Land verfügt über viel vulkanische Erde. Es ist ein Land, das Kaffee für jeden Geschmack hat.

Was ist euch wichtig, welche Kaffees nehmt ihr in eurem Portfolio auf? Wonach sucht ihr?
Wir haben ein paar Kuratoren, zu denen auch ich gehöre. Ich persönliche achte auf Sauberkeit, Süße und Fruchtigkeit. Das sind meine drei wichtigsten Dinge. Dieses Jahr haben wir eine neue Serie, die Acatenango-Serie, in der alle Kaffees enthalten sind, die unsere Erwartungen weit übertroffen haben. Zusätzlich haben wir unsere Micro Lots und Kaffees, die sehr süß sind.

Wie entscheidet ihr dann, welche Samples welchen Kaffees ihr an potentielle Kund:innen schickt wie uns?
Das hat sich im laufe der Jahre stark verändert. Anfangs haben wir so viele Samples wie möglich geschickt. Mittlerweile kennen wir unsere Kund:innen aber gut. Wir können sagen: Dieser Kaffee würde gut zu diesem Kunden passen. Wir arbeiten mit einigen Produzent:innen seit sechs Jahren zusammen. Der Kunde, der seinen Kaffee immer von einem bestimmten Produzenten bezieht, bekommt dann zehn neue Samples von diesem Produzenten. Wir versuchen immer herauszufinden, was der Kunde will. Wir informieren uns auf deren Homepage oder basierend auf ihrem Portfolio. Normalerweise sind acht verschiedene Samples genug für ein Cupping.

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Video-Interview mit Nadine Rasch

In diesem Video könnt ihr das gesamte, ungekürzte Interview mit Nadine Rasch von Primavera Coffee hören, das im Oktober 2021 aufgezeichnet wurde. Bei dem Transkript handelt es sich um eine leicht gekürzte Fassung.

Wenn ihr mit knapp 300 Produzent:innen zusammenarbeitet, heißt das, ihr vertretet 300 verschiedene Sorten Kaffee?
Dieses Jahr haben wir 285 Micro Lots. Einige sind größere Lots, Container. Andere bestehen aus fünf oder acht Säcken.

Das ist viel, oder?
Ja, wir verkaufen ungefähr die Hälfte davon direkt aus Guatemala, die andere Hälfte aus Europa oder den USA. Es ist viel Kaffee. Hier in unserem Lab cuppen wir die Kaffees einmal im Monat. Das sind 285 Kaffee Cuppings im Monat, um sicherzustellen, dass alle Kaffees unseren Ansprüchen genügen. Wenn uns Kaffees angeboten werden, erhalten wir knapp 1.000 Kaffees. Wir verbringen viel Zeit während der Ernteperiode mit Cuppings.

Ich habe in einem Buch gelesen, dass es “kein Zufall ist, dass in Guatemala die Schulferien mit der Erntezeit übereinstimmen”, damit die Kinder bei der Ernte helfen können.

Wir werden quantitativ nicht mit Vietnam oder Brasilien mithalten können. Unmöglich! Wir sind ein kleines Land mit vielen Hügeln. Entweder wir kämpfen mit Qualität oder wir verlieren.

Das stimmte vielleicht vor vielen Jahren. Die Schulferien haben sich geändert wie auch die Ernteperiode sich verändert hat. Vor knapp 50 Jahren hat sich Anacafé, die nationale Kaffeeorganisation, eine Strategie überlegt, die Qualität unseres Kaffees in Guatemala zu verbessern. Allen war klar: Wir werden quantitativ nicht mit Vietnam oder Brasilien mithalten können. Unmöglich! Wir sind ein kleines Land mit vielen Hügeln. Entweder wir kämpfen mit Qualität oder wir verlieren. Also haben sie festgelegt, dass Kaffee nur noch in Höhen von über 900 Metern angebaut werden soll. Alle Farmen, die darunter lagen, wurden dazu ermutigt, etwas anderes anzubauen. Wir haben zum Beispiel noch eine Farm, die unter 900 Metern liegt. Es steht noch eine Wet Mill dort, aber das Gelände ist eine Ruine seit 30 Jahren. Mein Vater baut dort jetzt Gummi an. Es war im nationalen Interesse, die Qualität von guatemaltekischem Kaffee zu verbessern. Die Schulferien stimmten mit den Erntezeiten jener Farmen überein, die nur in geringer Höhe lagen. Die Ernteperiode lag nämlich für jene Farmen im November und Dezember. Jetzt wird im Januar, Februar, März gepflückt wegen der größeren Höhe. Vor 50 Jahren also traf das zu: Wenn die Eltern ernteten, brauchte man jemanden, um auf die Kinder aufzupassen. Das war nur wenigen Eltern möglich. Die meisten Familien sind also zusammen auf das Feld gegangen. Die Eltern haben geerntet, die Kinder haben gespielt.

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…und jetzt liegen Farmen in Guatemala in höheren Gebieten.
Ja. Es gab eine Menge Farmen, die in geringer Höhe lagen, weil du in geringeren Höhen weitere Felder hast und entsprechend mehr Platz. Es gab große Kaffeefarmen, die jetzt etwas anderes anbauen: Gummi, Kakao, Palmöl. Die Strategie von Anacafé war sehr klug, sehr zukunftsgerichtet.

Dabei hatte ich gedacht, Guatemala wäre wettbewerbsfähiger mit niedrig liegenden Farmen aufgrund der höheren Produktivität.
Wir wären aber trotzdem bei weitem nicht so produktiv wie Brasilien, zum Beispiel. Ich finde diese Geschichte faszinierend. Natürlich bist du als Kaffeefarmer:in nicht gezwungen worden, deine Farm zu verlassen und höher anzusiedeln. Du wurdest ermutigt.

Ich nehme an, es gibt immer Farmer:innen, die “Nein” sagen.
Ja, dann kam der freie Markt und sie konnten nicht länger überleben. In schwierigen Jahren, in denen es nur eine geringe oder keine gute Ernte gibt, haben größere Farmen viel stärkere Probleme als kleinere. Du kannst den Kaffee dann nur zu einem geringen Preis verkaufen, und eine große Farm zu leiten ist teuer. Du kannst sehr schnell bankrott gehen. Kleinere Produzent:innen haben geringere Kosten, ernten meist selbst oder lassen sich von der Familie unterstützen. Sie überleben Krisen besser als größere Farmen.

In fast allen anderen Industrien ist es umgekehrt.
Ja, aber nicht bei Kaffee, weil du für die Ernte sehr, sehr viele Erntehelfer brauchst und Dünger und zahlreiche andere Dinge. Kleinere Farmen würden es überstehen, ein Jahr einmal nicht zu düngen. Aber größere Farmen? Keine Chance.

Vielen Dank für diese faszinierende Geschichte und die anderen Einblicke, die du uns gewährt hast!

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